Warum wir Menschenaffen halten

Traurige Realität in der Wildnis

Für alle Menschen ist es traurige Gewissheit - sie stehen kurz vor der Ausrottung (1). Schimpansen, Gorillas, Bonobos und Orang-Utans haben in den vergangenen 20 Jahren einen dramatischen Rückgang  ihrer Populationen erleben müssen. Um bis zu 50 Prozent sind die Bestände in der Wildnis eingebrochen. Die Ursache dafür ist neben der Wilderei vor allem der vom Menschen verursachte Raubbau (2) an den Lebensräumen der Tiere. Weil immer mehr Wälder gerodet werden, damit an ihrer Stelle Plantagen für Ölpalmen wachsen können, werden die Affen zum Opfer der Baumaschinen und vertrieben. Sie sind alle in den höchsten Kategorien der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (3) zu finden - beide Gorilla-Arten, der Schimpanse (4), der Bonobo und alle drei Orang-Utan-Arten. Aktuelle Studien zeigen, dass die Lebensräume der afrikanischen Affen bis 2050 um mindestens 85 Prozent (5) dezimiert sein werden, sollte es keinen deutlichen Kurswechsel geben. Verstärkt sich die Krise weiter, dann verlieren Schimpansen, Gorillas und Bonobos bis zu 95 Prozent ihrer angestammten Heimat. In Asien sieht es für die Orang-Utans leider kaum besser aus. Sollten Entwaldung und Wilderei nicht drastisch reduziert werden, werden nur noch kleine, kaum überlebensfähige Restbestände (6) von Menschenaffen übrig bleiben.



Sie sind noch zu retten


Zoos haben für die Menschenaffen über Jahrzehnte sichere Reservepopulationen aufgebaut. Durch die international organisierten Erhaltungszuchtprogramme könnten funktionierende Gruppen von Schimpansen (7), Bonobos (8), Gorillas (9) und Orang-Utans (10) zusammengesetzt und langsam an ein Leben in der Wildnis gewöhnt (11) werden. In der derzeitigen Situation kommen Auswilderungen von Menschenaffen jedoch kaum in Frage. Weil das Retten möglichst vieler Arten an erster Stelle steht, muss sich momentan zoologische Fokus sogar eher auf Affen richten, deren Überleben in menschlicher Obhut noch nicht abgesichert ist. Wenn sich die Gelegenheit ergibt: Kandidaten für eine Auswilderung müssen mit intensivem Training zunächst an das Leben in der Wildnis - wo es Gefahren und keine geregelten Essenszeiten gibt - gewöhnt werden. Deswegen ist dies bereits ein komplexer Prozess (12), der ohne ausreichende zoologische Expertise kaum Erfolg verspricht. Auffangstationen in Afrika (13) und Asien (14) erfüllen eine wichtige Tierschutzaufgabe, indem sie illegal gehaltene und beschlagnahmte Affen aufnehmen und resozialisieren, aber in der Regel nicht züchten. Zoos arbeiten mit vielen Auffangstationen zusammen und unterstützen diese finanziell. Der Schwerpunkt der Stationen liegt jedoch eher in der Rettung einzelner Tiere, während die Zoos Reservepopulationen aufbauen, Bildungs- und Forschungsarbeit für viele Menschen leisten und sich darauf konzentrieren, die letzten überlebenden Menschenaffen zu retten.



Der Mensch schützt nur, was er kennt

Das Hauptziel moderner Zoos ist die Aufzucht und Pflege gesunder Gruppen von Menschenaffen. Sie fungieren als Fenster in die Natur und als Botschafter ihrer wild lebenden Verwandten. Die zahlreichen Zoobesucher werden für den drohenden Verlust dieser faszinierenden Tiere sensibilisiert, denn der Mensch wird nur schützen, was er kennt. Und dieses Potenzial nutzen die wissenschaftlich geleiteten Einrichtungen gern: Allein in Deutschland können sie mit mehr als 45 Millionen Besuchen (15) pro Jahr dreimal so viele Menschen begrüßen wie die Bundesliga. In einer repräsentativen Studie (16) gab die übergroße Mehrheit der Zoogäste an, dass sie sich den Tieren nahe fühlt und sich ihre Wertschätzung für die Natur durch den letzten Besuch vergrößert hat. Ein Bewusstsein, das wirkt: Allein zwischen 2014 und 2018 konnten die europäischen Zoos mehr als 11 Millionen Euro Spenden an Schutzprojekte für Menschenaffen geben; Quelle: EAZA Conservation Database Great Apes (17). Der Artenschutz hier und vor Ort gehen Hand in Hand.



Wissen wirkt

Zwar gehören Menschenaffen generell zu den am besten erforschten Arten (18). Doch gerade bei so hoch entwickelten Tieren tauchen immer wieder neue Fragen (19) auf. Wenn wir die Antworten finden, führt uns das zu neuen Erkenntnissen über tierische und menschliche Kognition oder zu Einblicken in das Sozialsystem der verschiedenen Arten. Damit gelingt es uns, Wissenslücken in puncto Evolution zu schließen. Die Forschung an Menschenaffen in der Natur (20) und in Menschenhand ist eng miteinander verknüpft, die Ergebnisse ergänzen sich. Deswegen engagieren sich Zoos stark in der tiergerechten Forschung (21) an Gorillas, Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in verbesserte Haltungsbedingungen ein und helfen den Artenschutz in der Natur zu unterstützen.



So ähnlich und doch nicht gleich

Wir fühlen uns den Menschenaffen besonders verbunden. Denn tatsächlich sind es unsere nächsten tierischen Verwandten (22): Mit den Schimpansen teilen wir über 98,4 Prozent der Gene. Allerdings liegt auch bei Schweinen der gemeinsame Anteil bei über 90 Prozent. Dennoch haben wir von ihnen kein derartig idealisiertes, häufig sogar vermenschlichtes Bild. Vielfach beruht dieses eher auf der Darstellung in den Medien als auf wissenschaftlichen Erkenntnissen (23). Schimpansen verfügen zum Beispiel über eine ausgeprägte Mimik (24), doch sollten wir vorsichtig sein, diese vorschnell zu interpretieren. Ähnliche Gesichtsausdrücke haben bei unterschiedlichen Arten unter Umständen oft eine komplett andere Bedeutung.



Fressen, dösen, klettern - das Leben eines Menschenaffen im Zoo

Seitdem die ersten Gorillas und Schimpansen in die europäischen Zoos gelangt sind, ist viel passiert. Jede Tierart, auch bei den Menschenaffen, hat ihre speziellen Bedürfnisse, die in einer guten Haltung erfüllt werden. Wissenschaftliche Forschung hilft, diese Bedürfnisse objektiv (25) und immer besser (26) zu definieren. Deshalb wird die Haltung der großen Affen kontinuierlich weiterentwickelt. In verschiedenen Bodenbelägen wie Rindenmulch oder Holzhäckseln können die Tiere vom Pfleger versteckte Nahrung suchen. In der Natur bauen sich Menschenaffen Schlafnester, im Zoo nutzen sie dafür Stroh, Laub, Decken und Jutesäcke. Bei den Außengehegen haben sich häufig sogenannte Affeninseln bewährt. Allerdings haben sie einen enormen Platzbedarf. Übernetzte Anlagen sind eine gute Alternative. Für uns Menschen symbolisieren Gitter häufig eine Abgrenzung, das Ende der Freiheit. Doch der Begriff Freiheit ist vom Menschen gemacht. Für Menschenaffen haben Gitter eine ganz praktische Seite: Sie werden gern zum Klettern genutzt. Ab und zu kritisieren Besucher, dass die Affen über längere Zeit nur herumliegen und verwechseln diese Ruhestellung mit Apathie oder gar Depression. Dabei handelt es sich jedoch um ein völlig natürliches Verhalten, das beispielsweise Gorillas auch in der Wildnis zeigen, wenn sie gerade gefressenes Pflanzenmaterial verdauen - nur, dass uns das in Tierdokumentationen eben kaum gezeigt wird. Ein gutes Indiz für das Wohlbefinden von Zootieren ist Verhalten wie ausgelassenes Spielen oder langes Schlafen - Verhaltensweisen, die sie sich in der Wildnis wegen der vielen Gefahren nicht erlauben können.

 

 

 



Unsere Verantwortung

Wenn wir unsere tierischen Verwandten vor der Ausrottung bewahren wollen, müssen wir handeln. Mit den Händen im Schoß ist Artenschutz nicht machbar. Wenn wir Gorillas, Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans unter bestmöglichen Bedingungen in menschlicher Obhut halten, übernehmen wir Verantwortung für menschgemachte Fehler, die das Ende für diese Gattungen bedeuten könnten. In unseren Zoos beschützen und bewahren wir sie und setzen uns gleichzeitig für ihren Schutz in der Natur ein. Bis das eines Tages hoffentlich nicht mehr notwendig sein wird.


Literatur

1. IUCN (2016): Four out of six great apes one step away from extinction

2. Carvalho et al. (2021): Predicting range shifts of African apes under global change scenarios

3. IUCN: Red list of threatened species

4. Kühl et al. (2017): The critically endangered western chimpanzee declines by 80%

5. Max-Planck-Gesellschaft (2021): Für Menschenaffen wird es eng

6. Strindberg et al. (2018): Guns, germs and trees determine density and distribution of gorillas and chimpanzees in Western Equatorial Africa

7. IUCN: Pan troglodytes

8. IUCN: Pan paniscus

9. IUCN: Gorilla gorilla

10. IUCN: Pongo abelii

11. IUCN SSC Primate Specialist Group: Translocation and Reintroduction of Great Apes

12. Banes et al. (2016): Reintroduction of confiscated and displaced mammals risks outbreedind and introgression in natural populations, as evidenced by orang-utans of divergent subspecies

13. PASA: Our approach

14. Borneo Orangutan Survival

15. Verband der Zoologischen Gärten (2020): Zoobesuche erneut deutlich gestiegen

16. Verband der Zoologischen Gärten (2020): Die Deutschen und ihre Zoos

17. EAZA: Conservation Database

18. Behringer et al. (2018): Getting closer: contributions of zoo studies to research on the physiology and development of Bonobos Pan paniscus, Chimpanzees Pan troglodytes and other primates

19. University of Birmingham: Enclosure design tool

20. Grützmacher et al. (2018): Human respiratory syncytical virus and Streptococcus pneumoniae Infection in wild Bonobos

21. Hashmi et al. (2020): The visitor effect in zoo-housed apes: the variable effect on behaviour of visitor number and noise

22. Varki et al. (2017): How different are Humans and "Great apes"? A matrix of comparative anthropogeny

23. Kannan (2014): Chimps outplay humans in brain games

24. Kret et al. (2020): Emotional expressions in human and non-human great apes

25. Findley (2017): The effects of enclosure types on aggressive behavior in captive chimpanzees

26. Sakura (1994): Factors affecting party size and composition of chimpanzees (Pan troglodytes verus) Bossou, Guinea




Fotos: iStock