Plötzlich so ruhig

Wie die Zoos mit der Pandemie umgehen

Es ist die zweite Woche, nach dem die Corona-Pandemie das öffentliche Leben in Deutschland quietschend zum Halten gebracht hat. Die meisten Geschäfte haben geschlossen, tausende Schüler gehen nicht zur Schule und auch die zoologischen Gärten können momentan keine Besucher empfangen. Doch anders als andere Einrichtungen kann man Zoos nicht einfach stilllegen – die Tiere wollen schließlich versorgt, die Anlagen weiter gewartet werden. Ein Blick hinter die Kulissen.

 

Mehr Zeit für Babyöl – die Nashörner in Schwerin freut es. Wenn Daniel Heese in diesen Tagen in den Zoo der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns kommt, ist die plötzliche Ruhe noch immer ungewohnt. Keine anregenden Gespräche mit Besuchern mehr, keine Schaufütterungen – auch in Schwerin mussten sich die Zootore für Gäste schließen. "Natürlich vermisse ich den Kontakt, aber die gewonnene Zeit ist auch Gold wert, weil wir mit ihr das Leben unserer Tiere weiter verbessern können", sagt Heese, der in Schwerin die Ausbildung zum Tierpfleger absolviert hat und inzwischen stellvertretender Revierleiter ist. So ist das Tiertraining ein Aspekt der täglichen Arbeit der Pfleger, für den jetzt mehr Zeit bleibt. Tigerdame Angara beispielsweise hat eine alte Verletzung am Fuß, humpelt deswegen ab und zu. Momentan können sich Daniel Heese und seine Kollegen geduldig dem Ziel widmen, dass die Großkatze auf Kommando am Gitter innehält, ihren lädierten Fuß auf ein Stück Holz setzt, damit die Tigerpranke unkompliziert in Augenschein genommen werden kann – ohne eine riskante Narkose. Und auch die Breitmaulnashörner lernen, auf ihren Namen zu hören und ans Gitter zu treten, um sich unter anderem Blut abnehmen zu lassen. "Sie sind an den Ohren sehr empfindlich, so dass es von großem Vertrauen zu uns spricht, wenn sie uns da mit einer Kanüle ranlassen", sagt Heese. "Und dieses Vertrauen will eben langsam aufgebaut werden. An Ende zahlt es sich aber aus, wenn diese notwendigen Maßnahmen mit deutlich weniger Stress für unsere Tiere verbunden sind."

Die Einschränkungen, die mit der Zooschließung einhergehen, lassen sich für Heese und seine Kollegen verkraften. "Wir arbeiten jetzt in zwei komplett getrennten Tierpfleger-Teams: eines ist immer für sieben Tage am Stück im Zoo, um dann für eine Woche nach Hause zu gehen", berichtet Heese. "Beim Wechsel desinfizieren wir möglichst alles, um das Ansteckungsrisiko gering zu halten. Und auch in der Freizeit unterlassen wir persönliche Kontakte, erst recht zum anderen Team." Die Maßnahmen dienen alle dem Ziel, mindestens ein einsatzbereites Team zur Verfügung zu haben – selbst wenn eine Infektion unter den Pflegern auftreten sollte.

Merken die Tiere eigentlich, dass die Besucher wegbleiben? "Man kann es an ihrem Verhalten schon ablesen", sagt Daniel Heese. "Die ruhigen Tiere, wie Stachelschweine oder Marabus, trauen sich jetzt auch in Bereiche, wo sie sonst nur selten zu sehen sind", sagt der 31-Jährige. "Die Affen haben zunächst vielleicht etwas ratlos geschaut: Jetzt gibt es weniger Gelegenheiten, Handys oder ähnliches aus Taschen oder Händen zu stibitzen."

Selbst wenn die Zoomitarbeiter körperlich auf Abstand gehen mussten, rücken sie doch enger zusammen. "Unsere Handwerker sind gerade stark gefordert", sagt Heese. "Trotzdem haben wir vor ein paar Tagen hinbekommen, schnell mal gemeinsam das Nashorngehege mit dem Traktor umzubauen: Jetzt ist die Stelle mit den starken Auswaschungen endlich verschwunden." Mehr Sicherheit und auch gepflegte Dickhäuterhaut: Heese und die anderen Schweriner Pfleger nutzen die gewonnene Zeit ebenfalls dafür, ihre Nashörner mit Babyöl zu verwöhnen – gegen die allzu trockene Winter-Haut.

 

Auch der Arbeitstag von Tierärztin Julia Heckmann hat sich im Zuge der Pandemie verändert – nur der entscheidende Teil ist gleichgeblieben. "Einige Sachen wie neue Futterpläne erledige ich zur Sicherheit inzwischen von zu Hause aus", berichtet die 33-jährige Veterinärin aus dem Zoologischen Stadtgarten Karlsruhe. "Aber die Tierbehandlungen müssen natürlich ganz normal weitergehen, wir können ja schlecht die Hände in den Schoß legen." Und ohne Besucherströme kann sich Heckmann auch mal schnell ein Schaf aus dem Streichelgehege schnappen, um es direkt festzuhalten und zu untersuchen. "Es ist schon extrem still geworden; die Gespräche mit den Stammbesuchern fehlen mir", sagt Julia Heckmann. "Oft denke ich, dass es schade ist, dass unsere Besucher den Tiernachwuchs momentan nur über die Sozialen Medien erleben können, auf der anderen Seite komme ich mit dem Rad gerade richtig schnell von A nach B." Alle Mitarbeiter sollen so wenig Kontakt zueinander wie möglich haben, weswegen Heckmann und die anderen mittlerweile zeitlich gestaffelt mit der Arbeit beginnen. "Auch sonst sind wir so vorsichtig wie möglich: Wenn bisher die Mittagspause die große Chance für Begegnungen und Gespräche war, sitzt man jetzt allein am Tisch." Der Sicherheitsabstand soll das Karlsruher Team möglichst frei von Ansteckungen und damit einsatzbereit halten. "Wenn ich mit den Pflegern bei den Elefanten bin, geht das natürlich problemlos", berichtet Tierärztin Heckmann. "Bei den mittleren Tieren, die man nicht mehr allein behandeln kann, lässt es sich eben nicht vermeiden, dichter zusammenzuarbeiten." Und buchstäblich enger ist mittlerweile auch der Kontakt zu den Karlsruher Tieren. "Besonders die Tiere aus dem Streichelzoo lassen sich jetzt nur zu gern von uns kraulen", sagt Julia Heckmann. Und auch wenn die Tierärztin am Affengehege vorbei geht, kann sie sich inzwischen sicher sein, dass die Schimpansen ihre Bewegungen höchst aufmerksam verfolgen und interessiert reagieren. "Es ist sicherlich eine ungewohnte Situation, aber allein aus tierärztlicher Sicht werden wir keine Probleme haben, diese Pandemie zu überstehen", ist sich Julia Heckmann sicher.

 

Auch im Aquazoo Löbbecke Museum Düsseldorf stehen die Zeichen auf 'gemeinsames Anpacken'. "Unsere Tiere sollen es gar nicht erst merken, dass etwas anders ist", fasst Kuratorin Sandra Honigs die Devise zusammen. "Wir wollen so lange es geht, einen perfekten Zustand aufrechterhalten." Für sie, die sonst als stellvertretende Direktorin hauptsächlich den Überblick über die Tiersammlung bewahrt und den Austausch mit und die Transporte zu anderen Zoos verantwortet, heißt das anfassen – bis zum Nachmittag hilft sie in der Tierpflege aus. "Um den Kontakt zu reduzieren, haben wir ebenfalls Teams eingeteilt; die wären aber ohne Hilfe von Kollegen aus dem Verwaltungsbereich zu klein", sagt die 46-Jährige. "Gerade bei unseren gefährlichen Tieren wie den Giftschlangen und Krokodilen ist ein drittes Paar aufmerksame Augen notwendig. Und es ist auch schön, mal die Arbeitsabläufe der Kollegen genau kennenzulernen." Dabei spielt Sauberkeit eine große Rolle. "Wenn die Scheiben unserer Gehege und Aquarien erstmal unter ein gewisses Niveau gerutscht sind, kriegt man sie quasi nie wieder sauber", sagt Honigs. Die Stimmung ist auch im Aquazoo so ganz ohne Besucher merkwürdig, aber Sorgen macht sich Sandra Honigs keine großen. "Desinfektionsmittel haben wir noch genug, auch wenn wir durch die Pandemie momentan das ganze Haus aus unseren Vorräten versorgen müssen", sagt sie, die dem Düsseldorfer Zoo bereits seit rund 25 Jahren verbunden ist. "Außerdem haben wir den Vorteil, dass wir keine Tiere haben, die viel Heu oder Luzerne benötigen – das bisschen Obst und Gemüse, das wir neben unseren selbstgezüchteten Futtertieren benötigen, kriegen wir in jedem Fall zusammen", sagt sie zuversichtlich. "Es war ein echter Vorteil, dass wir uns früh auf die Situation vorbereitet haben und jetzt eingespielt arbeiten können. Mir tut zwar von den ungewohnten Bewegungen abends wirklch alles weh, aber dafür hat mein Mann, der im Duisburger Zoo als Tierpfleger arbeitet, dann etwas zum Lachen."

Sebastian Scholze